Zeugnis des Landesschülerbeirates

Endjahreszeugnis für die Bildungspolitik

Landesschülerbeirat Presse | 30. Juli 2025
- Die Bildungspolitik braucht keine kosmetischen Korrekturen mehr – sondern eine tiefgreifende, mutige Reformbereitschaft
- Wäre die Bildungspolitik eine Schülerin, wäre sie aktuell nur knapp versetzt worden.

Stuttgart, den 30. Juli 2025 PM |

Endjahreszeugnis für die Bildungspolitik - Schuljahr 2024/25

Vor- und Zuname: Bildungspolitik Baden-Württemberg

Noten in den einzelnen Leistungsbereichen:
Lehrkräfteversorgung und Ausbildung       mangelhaft
Schulsystem                                                             befriedigend
Pädagogische Konzepte                                   befriedigend
Digitalisierung                                                       befriedigend
Demokratiebildung                                              ausreichend
Bildungsgerechtigkeit                                          mangelhaft
Gesamtwertung   3.8

Besondere Lernleistungen
Thema
KI-Zentrum Schule
Schutzkonzepte gegen sexualisierte Gewalt

Bemerkungen
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Datum: 30. Juli 2025
gez. der Landesschülerbeirat     ______________________________
Landesschülerbeirat                    Erziehungsberechtigte/r

 


Leistungsbereich: Lehrkräfteversorgung und Ausbildung

 

Nach wie vor klafft eine Lücke in der Lehrkräfteversorgung: Es fehlen rund 8000 Vollzeit- und 2000 Teilzeitstellen an unseren Schulen in Baden-Württemberg. Statt der dringend benötigten 1500 Deputate, die laut Statistischem Landesamt aufgrund des demographischen Schüler:innen-Aufwuchses notwendig wären, wurden in diesem Jahr lediglich 330 neue Stellen ausgewiesen – und das auch erst nach erheblichem öffentlichen Druck. Trotz wiederholter Hinweise, auch durch uns, wurde erneut keine tragfähige Gesamtstrategie zur Sicherung der Lehrkräfteversorgung vorgelegt.

 

Das Kultusministerium agiert unserer Meinung, weiterhin im reaktiven Krisenmodus statt vorausschauend zu planen. Maßnahmen zur gezielten Anwerbung und Ausbildung neuer Lehrkräfte, insbesondere für Mangelfächer und herausgeforderte Schulstandorte, fehlen ebenso wie echte Konzepte zur Entlastung des bestehenden Personals. Auch der wachsende Lehrkräftebedarf durch steigende Schüler:innenzahlen wird weiterhin ignoriert.

 

Besonders schwerwiegend ist der Fall der sogenannten „Geisterlehrkräfte“: 1.440Stellen wurden fälschlicherweise als besetzt ausgewiesen. Dieser gravierende Fehler hätte nicht passieren dürfen und wirft grundlegende Fragen zur internen Datenqualität und Transparenz auf. Auch wenn das Ministerium nach Bekanntwerden des Problems schnell reagiert und Stellen ausgeschrieben hat – insbesondere an den SBBZ, die besonders stark betroffen sind –, ändert das nichts am strukturellen Mangel. Summa summarum: Es fehlt an Weitblick, Verlässlichkeit und der nötigen Entschlossenheit, um die Lehrkräfteversorgung nachhaltig zu sichern. Der Lehrkräftemangel bekämpft sich nicht mit Placebos und Sparmaßnahmen.

 

Halbjahresinformation: mangelhaft

Endjahreszeugnis: mangelhaft

 

 

Leistungsbereich: Schulsystem

Der Reformbedarf im baden-württembergischen Schulsystem bleibt weiterhin weitgehend unbeantwortet – insbesondere im Bereich der nicht-gymnasialenSchularten. Strukturelle Probleme sind seit Jahren bekannt, doch es bleibt bei punktuellen Anpassungen ohne klare Gesamtstrategie. Das sorgt für wachsendesUnverständnis bei den Schulen, die tagtäglich mit realen Nachteilen konfrontiert sind. Grundsätzlich begrüßen wir aber den Willen zur Reformbereitschaft. Zwar wurde das Schulgesetz im Januar geändert und eine weitere Änderung befindet sich aktuell in Vorbereitung – das ist grundsätzlich ein richtiger Schritt. Doch auch hier fehlt es an echter Einbindung der betroffenen Akteur:innen vor Ort. Reformen, die ohne Beteiligung der Praxis entstehen, bleiben oft wirkungslos. DieChance, sich mit diesen Gesetzesprozessen substanziell zu verbessern, wurde daher verpasst.

 

Besonders enttäuschend ist, dass die längst überfällige Einsetzung einer Enquete-Kommission Bildung weiterhin ausbleibt – und das, obwohl ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis diesen Schritt vehement eingefordert hat. Zwar wurde von einzelnen Parteien angekündigt, das Thema in ihre Wahlprogramme aufzunehmen, doch konkrete Fortschritte blieben im vergangenen Schuljahr aus. Auch die anhaltende Benachteiligung der nicht-gymnasialen Schularten – etwa beim Zugang zu Ressourcen für Innovationen – wurde nicht angegangen. Statt struktureller Gerechtigkeit herrscht weiterhin Ungleichbehandlung.

 

Trotz einzelner positiver Signale fehlt es insgesamt an strategischer Tiefe und mutiger Gestaltung. So reicht es erneut nur für ein:

 

Halbjahresinformation: befriedigend

Endjahreszeugnis: befriedigend

 

 

Leistungsbereich: Pädagogische Konzepte

Im Bereich der pädagogischen Konzepte bleiben die grundlegenden Herausforderungen weiterhin ungelöst. Unsere wiederholte Kritik aus der Schülerschaft, von Bildungsverbänden und aus der pädagogischen Forschung wurde im vergangenen Schuljahr kaum aufgegriffen. Noch immer dominiert einüberholtes Unterrichtsverständnis, das eigenständiges, projektbasiertes und individualisiertes Lernen vernachlässigt. Wichtige Fragen wie ein flexiblerer Schulbeginn, die Taktung des Unterrichts oder alternative Lernformate werden selbst im neuen G9 nicht konsequent mitgedacht.

 

 

Auch beim Umgang mit digitalen Endgeräten fühlen sich viele Schülerinnen nicht ernsthaft beteiligt. Zwar fand ein einmaliger Austausch mit der Ministerin undExpertinnen statt – doch es blieb bei einem Gespräch ohne erkennbare Nachbereitung. Viele Anregungen aus der Schülerschaft wurden nicht berücksichtigt. Besonders enttäuschend ist, dass die Empfehlungen zur Schulkonferenz ohne Einbindung des Landesschülerbeirats (LSBR) und des Landeselternbeirats (LEB) erarbeitet wurden – eine verpasste Chance, Beteiligung wirklich zu leben. In anderen Bundesländern – etwa Mecklenburg-Vorpommern – wurde dieser Prozess deutlich partizipativer gestaltet.

 

Ein zentrales Defizit bleibt die fehlende Beteiligung von Schüler*innen in der Bildungsplankommission – gerade mit Blick auf das neue Fach Medienbildung. Wer dieses Fach wirksam, alltagsnah und relevant gestalten will, muss die Perspektiven der Lernenden ernst nehmen. Derzeit befinden wir uns zwar in Gesprächen mit den zuständigen Stellen – doch ein Durchbruch steht noch aus. Sollte dieser gelingen, sehen wir hier großes Potenzial für eine bessere Bewertung in der Zukunft.

 

Positiv hervorzuheben ist hingegen die Kampagne zur flächendeckenden Einführung von Schutzkonzepten gegen sexualisierte Gewalt. Hier wurden wir in vorbildlicher Weise vom ZSL, dem Kultusministerium und der Amtsspitze eingebunden. Unsere Vorschläge wurden direkt übernommen getragen von der Überzeugung, dass wir am besten wissen, was in der Lebensrealität von Schüler*innen tatsächlich ankommt. Dieses Beispiel zeigt: Echte Beteiligung funktioniert – wenn sie gewollt ist. Genau diesen Anspruch wünschen wir uns künftig auch für andere pädagogische Entwicklungen.

 

Halbjahresinformation: mangelhaft

Endjahreszeugnis: befriedigend

 

 

Leistungsbereich: Digitalisierung

Im Bereich der Digitalisierung zeigt sich weiterhin ein gemischtes Bild – mit Licht und Schatten. Der Skandal um die sogenannten Geister-Lehrkräfte hat deutlich gemacht, wie mangelhaft die Digitalisierung in der Schulverwaltung ist. Im Landtag wurde offengelegt, dass zentrale Systeme zur Lehrkräfteverwaltung nicht miteinander kompatibel sind und deshalb nicht miteinander kommunizieren können. Dass Ministerin Schopper hier Reformbereitschaft signalisiert hat, ist ein überfälliger, aber notwendiger Schritt. Die Verwaltungsdigitalisierung muss dringend vorangetrieben werden – nicht nur, m Fehler zu vermeiden, sondern auch, um die tägliche Arbeit an Schulen zu erleichtern. Bislang verursachen digitale Prozesse häufig eher Mehraufwand als Entlastung.

 

Positiv hervorzuheben, bleibt das KI-Zentrum Schule, das weiterhin ein vielversprechender Impuls ist. Für das kommende Schuljahr erwarten wir konkrete Handlungsvorschläge, wie KI sinnvoll in den Schulalltag integriert werden kann, etwa in der Unterrichtsplanung oder zur individuellen Lernbegleitung.

 

Ein Fortschritt ist auch die Verabschiedung des Digitalpakts 2.0, auch wenn das Gesamtvolumen der Mittel aus unserer Sicht zu gering ausfällt. Besonders begrüßen wir, dass nun auch Mittel für die professionelle IT-Verwaltung an Schulen verwendet werden können – ein überfälliger Schritt hin zu einem stabileren digitalen Fundament.

 

Zentral bleibt die Einführung des neuen Fachs Medienbildung, das eine große Chance für digitale Mündigkeit darstellt – sofern Schüler:innen von Anfang an beteiligt werden. Nur so kann das Fach wirklich an Lebensrealitäten anknüpfen und wirksam werden. Die Einbindung der Schülerschaft ist daher nicht optional, sondern zwingend erforderlich.

 

Insgesamt sind wichtige Schritte angestoßen – doch viele Potenziale bleiben noch ungenutzt. Deshalb vergeben wir im Jahreszeugnis eine Stufe besser als zur Halbjahresinformation:

 

Halbjahresinformation: ausreichend

Endjahreszeugnis: befriedigend

 

 

Leistungsbereich: Demokratiebildung

Im Bereich der Demokratiebildung ist im zweiten Halbjahr spürbare Bewegung entstanden. Die Gründung des Landesjugendbeirats ist ein starkes Signal für mehr Jugendbeteiligung auf Landesebene. Damit junge Menschen sich wirklich gehört fühlen, muss dieses neue Gremium allerdings dauerhaft mit ausreichend Personal, Ressourcen und Rechten ausgestattet werden. Positiv ist zudem, dass der LJB eine enge Zusammenarbeit mit anderen Jugendvertretungen anstrebt. Nur so können die spezifischen Anliegen junger Menschen in ihrer ganzen Breite ernst genommen werden.

Auch die Landesjugendkonferenz war ein voller Erfolg – dafür sprechen wir dem Kultusministerium ausdrücklich unsere Anerkennung aus. Besonders erfreulich ist die Ankündigung, im kommenden Schuljahr bis zu 150 Jugendkonferenzen im Land durchzuführen. Damit entsteht echtes Beteiligungspotenzial. Entscheidend ist nun, dass ein angemessener Anteil dieser Konferenzen außerschulisch stattfindet, um auch Jugendlichen eine Stimme zu geben, die nicht (mehr) zur Schule gehen und keine Vermischung mit dem Aufgabenbereich des Landesschülerbeirats zu verursachen.

 

Gleichzeitig bleibt die Demokratisierung innerhalb der Schulen eine große Baustelle. Entscheidungen zu zentralen Fragen des Schulalltags – etwa zu Handyregelungen oder dem Ganztagsbetrieb – können möglicherweise durch die anstehende Schulgesetzänderung per Erlass oder Rechtsverordnung von oben getroffen, ohne ernsthafte Beteiligung der Schulgemeinschaft entschieden werden. Das untergräbt demokratisches Lernen im Alltag und konterkariert alle politischen Bildungsziele. Insgesamt sind wichtige Impulse sichtbar geworden – aber es bleibt noch viel zu tun, damit Beteiligung nicht punktuell bleibt, sondern zur Struktur wird.

 

Halbjahresinformation: mangelhaft

Endjahreszeugnis: ausreichend

 

 

Leistungsbereich: Bildungsgerechtigkeit

 

Im Bereich der Bildungsgerechtigkeit bleibt die Lage weiterhin angespannt – auch wenn einzelne Maßnahmen in die richtige Richtung weisen. Das Programm SprachFit ist ein positives Beispiel: Es setzt früh an, um sprachliche Barrieren zu erkennen und gezielt zu fördern. Damit dieses Potenzial langfristig Wirkung entfalten kann, braucht es jedoch eine dauerhafte Finanzierung und breitere Umsetzung.

 

Als richtig und notwendig werten wir auch, dass ein Großteil der nachträglich identifizierten Geister-Lehrkräftestellen nun an die SBBZ vergeben wurde. Diese Schulart leidet seit Jahren unter einer besonders schlechten Versorgung, sodass diese Nachsteuerung des Kultusministeriums ausdrücklich zu begrüßen ist.

 

Gleichzeitig sehen wir in anderen Bereichen deutlichen Rückschritt. So kritisieren wir die neue Handyregelung, die durch eine Änderung im Schulgesetz ermöglicht wurde. Anstatt Schülerinnen mit problematischem oder besonders kritischem Medienkonsum pädagogisch zu begleiten, wird die Verantwortung nach Hause verlagert – dorthin, wo oft gerade keine ausreichende Unterstützung vorhanden ist. Die Folge: Die Kluft zwischen Schülerinnen mit stabiler Begleitung und denen ohne vergrößert sich weiter. Bildungsgerechtigkeit heißt nicht, Probleme auszublenden, sondern sie aktiv anzugehen – auch im digitalen Alltag.

 

Ein weiteres alarmierendes Signal liefert das Ergebnis der Kompass 4-Prüfung: Nur 6 % der getesteten Grundschüler*innen erhielten laut Kultusministerium eine Gymnasialempfehlung im Fach Mathematik. Diese Zahl liegt weit unter dem, was erfahrene Lehrkräfte wahrnehmen. Studien und Einschätzungen, etwa von der GEW, zeigen eine starke Diskrepanz. Die Recht- und Zweckmäßigkeit solcher Tests sind mehr als fragwürdig – und das Festhalten an einer faktisch verbindlichen Grundschulempfehlung ist ein bildungspolitischer Irrweg, den das Ministerium endlich beenden sollte.

 

Trotz einzelner positiver Ansätze überwiegen strukturelle Versäumnisse und soziale Blindstellen. Deshalb bleibt es bei:

 

Halbjahresinformation: mangelhaft bis ungenügend

Endjahreszeugnis: mangelhaft

 

 

Gesamtbewertung: Fehlender Mut zur echten Reform

 

Die Bildungspolitik in Baden-Württemberg zeigt auch im Schuljahr 2024/25: Es fehlt der Mut, die wirklich notwendigen Schritte zu gehen. Während einzelne Maßnahmen wie SprachFit, der neue Landesjugendbeirat oder die Ankündigung des Digitalpakts 2.0 erste positive Impulse setzen, bleiben sie auf halbem Weg stehen oder verpuffen mangels konsequenter Umsetzung. In fast allen Leistungsbereichen dominiert der Eindruck: Die strukturellen Herausforderungen werden erkannt – aber nicht entschlossen genug angegangen.

 

 

Besonders schwer wiegt, dass zentrale Probleme wie der Lehrkräftemangel, die fehlende Bildungsgerechtigkeit oder die mangelnde Demokratisierung der Schulstrukturen weiterhin bestehen – teils sogar verschärft durch politische Entscheidungen, die an der Lebensrealität von Schüler:innen und Schulen vorbeigehen. Symbolpolitik ersetzt echte Beteiligung, kurzfristige Lösungen verdrängen langfristige Strategien. Auch in Bereichen, in denen Bewegung spürbar ist – etwa in der Demokratiebildung – mangelt es an verbindlichen Rechten, gesicherter Förderung und struktureller Verankerung. Engagement wird weder systematisch unterstützt noch ausreichend gewürdigt und ist somit oft von einzelnen Personen und ihren Entscheidungen abhängig. Und selbst grundlegende Prinzipien wie die Förderung von Medienkompetenz werden untergraben, wenn das Kultusministerium die Möglichkeit bekommt, pauschale Handyverbote per Rechtsverordnung oder Erlass einzuführen anstelle auf pädagogische Konzepte und individuelle Lösungen zu setzen.

 

Die Bildungspolitik braucht keine kosmetischen Korrekturen mehr – sondern eine tiefgreifende, mutige Reformbereitschaft. Dazu gehören: eine klare Gesamtstrategie, echte Beteiligung, langfristige Finanzierung und vor allem der politische Wille, Schüler*innen und ihre Zukunft endlich ins Zentrum der Schulpolitik zu rücken. Wäre die Bildungspolitik eine Schülerin, wäre sie aktuell nur knapp versetzt worden. Noch besteht die Chance, mit strukturellen Reformen, transparenter Kommunikation und einer gemeinsamen Vision Boden gutzumachen. Doch ohne entschlossene Kurskorrektur droht eine weitere Verschärfung der bestehenden Missstände und keine Versetzung im nächsten Schuljahr.

 


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Endjahreszeugnis für die Bildungspolitik

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