Landesschülerbeirat fordert gemeinsam mit anderen 20 weiteren Verbänden echten Datenschutz

PM 14/A

Gemeinsame Stellungnahme zur Verwendung von Cloud-Software in Schulen

Baden-Württembergs Kultusministerium plant die Bereitstellung der Cloud-Software MS 365 (früher „MS Office 365“) für die Nutzung an Schulen. Dieses Vorhaben ist aus zahlreichen Gründen, nicht zuletzt aufgrund ungelöster Datenschutzprobleme, stark umstritten. Die unterzeichnenden Organisationen wenden sich deshalb gegen dieses Vorhaben und appellieren an die Landesregierung, stattdessen auf die Nutzung und den weiteren Ausbau vorhandener und in zahlreichen Belangen vorteilhafterer Open-Source-Lösungen für den digitalen Unterricht der Schulen zu setzen.

Unterstützende Organisationen

1. Digitale Souveränität

Baden-Württemberg muss im Sinne der Daseinsvorsorge und der digitalen Souveränität in systemrelevanten Bereichen auf zukunftsfähige und dauerhaft verfügbare Netzwerk-, Software- und Cloud-Lösungen setzen, gerade auch im Bildungsbereich. Ein Bundesland darf sich nicht von einem Cloud-Angebot wie MS 365 abhängig machen, über das es nicht mit voller Souveränität selbst, sicher und dauerhaft verfügt, weil es jederzeit vom Anbieter oder auf Anweisung der Regierung des Landes des Firmensitzes in der Nutzung eingeschränkt oder gar abgeschaltet werden kann.

Im Koalitionsvertrag der beiden baden-württembergischen Regierungsparteien ist deshalb eine Open-Source-Strategie vereinbart worden. Diese muss beim Aufbau der Bildungscloud berücksichtigt werden. Auch auf Bundesebene und auf europäischer Ebene ist die Notwendigkeit einer Open-Source-Strategie längst erkannt.

2. Vorhandene Lösungen nutzen und stärken

Für die Schulen gibt es in Baden-Württemberg seit langem quell-offene datenschutzkonforme Softwarelösungen: Mit Moodle (Lernplattform), BigBlueButton (Videokonferenzsystem), LibreOffice (Bürosoftware), Thunderbird (Mailprogramm) und Nextcloud (Dateiablage und Kooperation) stehen allen Schulen Anwendungen zur Verfügung, die den Funktionsumfang von MS 365 abdecken oder übertreffen. Bereits jetzt bewältigen viele Schulen den digitalen Unterricht damit sehr gut. Deshalb kann auf die Nutzung der umstrittenen Cloud-Software MS 365 an Schulen schon allein aus rein funktionalen Gesichtspunkten gut verzichtet werden.

3. Datenschutz

Die Datenschutzkonformität einer Bildungsplattform ist von zentraler Bedeutung, weil auf ihr sehr sensible Daten der Schülerinnen und Schüler gespeichert und verarbeitet werden. Es ist auch durch die restriktivste Benutzerordnung nicht zu verhindern, dass z.B. Eltern den Lehrkräften auf digitalem Wege über Krankheitsverläufe oder Verhaltensprobleme der Kinder berichten. Der Quellcode von MS 365 ist geheim, sodass seine Datenschutzkonformität nicht überprüft werden kann. Laut der Nutzungsbedingungen werden von MS 365 zudem ständig zahlreiche sogenannte Telemetrie- und Diagnosedaten auf die Server der Firma Microsoft übertragen.

Die datenschutzrechtlichen Probleme rund um den US-Cloud Act, dem die Firma Microsoft in ihrem Heimatland unterliegt, und den gescheiterten EU-US Privacy Shield sind hinlänglich bekannt: Selbst wenn die Microsoft-Server (wie in diesem Fall beabsichtigt) in Deutschland stehen, muss Microsoft Daten an Behörden in die USA übertragen, wenn dies von dort angeordnet wird. Selbst wenn Microsoft (wie kürzlich rechtlich wertlos zugesichert) gegen solche behördlichen Anfragen auf dem Gerichtsweg vorgehen würde, wäre der Ausgang ungewiss. Auch der LfDI (Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit) Baden-Württembergs hat weiterhin erhebliche Zweifel an der aktuellen und nachhaltigen Datenschutzkonformität von MS 365.

4. Schulfrieden

Wenn eine wegen des Datenschutzes oder aus anderen Gründen umstrittene Software an den Schulen eingesetzt werden soll, führt das unvermeidlich zu Konflikten in der Schulgemeinschaft. So ist damit zu rechnen, dass sich flächendeckend einzelne Schüler/innen, Eltern und Lehrkräfte gegen die Nutzung solcher Software wehren. Das könnte durch Anträge auf Datenschutzauskunft, Widersprüche gegen die Datenverarbeitung oder beamtenrechtliche Remonstration geschehen. Diese absehbare schwere Belastung des Schulfriedens sollte von vornherein vermieden werden, indem zweifelsfrei datenschutzkonforme Software eingesetzt wird.

Aufgrund der Abhängigkeitsbeziehungen (Schüler/innen – Lehrer/innen, Lehrer/innen – Schulleitungen, Schulleitungen – Schulaufsichtsbehörden) ist der Hemmschwelle bei der Geltendmachung der eigenen Rechte im schulischen Umfeld besondere Beachtung zu schenken. Schulen dürfen insbesondere Schülerinnen und Schüler nicht in eine Situation bringen, in der diese ihre Grundrechte gegen Lehrkräfte oder Schulleitungen erst durchsetzen müssen, von denen sie aber beispielsweise durch Notengebung stark abhängig sind. Es ist die Pflicht der Schule, die Rechte ihrer Schülerinnen und Schüler, aber auch der Lehrkräfte, aktiv zu schützen. Schulleitungen, Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler werden durch die Einführung von rechtlich und/oder ethisch umstrittenen Lösungen in eine höchst kritische Lage gebracht.

5. Datenschutzrechtliche Verantwortung bei den Schulen

Die aktuelle Kommunikation des Kultusministeriums vermittelt den Eindruck, man wolle die Schulen von Auswahl und Administration geeigneter Dienste entlasten. Rechtlich stellt sich die Situation allerdings vollkommen anders dar: Die datenschutzrechtlich verantwortliche Stelle ist und bleibt die einzelne Schule, die sich für den Einsatz eines sogenannten Dienstes entscheidet. Für Rechtsunsicherheiten steht also nicht das Kultusministerium gerade, sondern die jeweilige Schulleitung vor Ort. Diese datenschutzrechtliche Verantwortung können Schulleitungen bei MS 365 wegen fehlender Fachkenntnisse und Analysemöglichkeiten de facto nicht übernehmen.

6. Medien- und Verbraucherbildung: Erziehung zur Mündigkeit

Medien- und Verbraucherkompetenzen sind in unserer durch Digitalisierung geprägten Gesellschaft zentral. Aufgabe der Medien- und der Verbraucherbildung ist daher, Schülerinnen und Schüler in einer sinnvollen, reflektierten und verantwortungsbewussten Nutzung der Medien sowie einer überlegten Auswahl aus der Medienvielfalt in Schule und Alltag zu stärken sowie zu befähigen, als kritische und mündige Verbraucherinnen und Verbraucher reflektiert Konsumentscheidungen zu treffen (vgl. Bildungsplan 2016). Für sein Gelingen hat der Erwerb dieser Kompetenzen frei von wirtschaftlichen Interessen und unternehmensunabhängig zu erfolgen (vgl. KMK 2013). Mediale Grundlage zur Erfüllung dieser Aufgabe ist, dass an den Schulen verstärkt freie Lern- und Lehrmaterialien (Open Educational Resources und Freie Software) sowie ein herstellerunabhängiges Software-Ökosystem mit freien Dateiformaten genutzt werden (vgl. Koalitionsvertrag 2016 – 2021).

Die Einführung von MS 365 im Rahmen der Bildungsplattform würde bei einer Nutzung durch Schülerinnen und Schüler zu einer frühen Prägung auf eine proprietäre Software führen. Dies würde sowohl dem Ziel einer bevorzugten Nutzung freier Lern- und Lehrmaterialien als auch dem Ziel einer auf die Erziehung zur Mündigkeit ausgerichteten Medien- und Verbraucherbildung widersprechen.

7. Ökonomie

Wer in Baden-Württemberg Arbeitsplätze und Know-How sichern will, sollte vorrangig heimische Unternehmen einbinden und deren Produkte bei der Bildungsplattform einsetzen.

Zumeldung:
Als Landesschülerbeirat begrüßen wir die Entscheidung eine digitale Bildungsplattform einzuführen und halten dies auch für einen unabdingbaren Schritt. Wir sind uns jedoch einig, dass der Datenschutz der 1,5 Millionen Schülerinnen und Schüler sowie der 100.000 Lehrerinnen und Lehrer nicht verhandelt werden darf. Aus diesem Grund haben wir am 08.12.2020 in einer PM die aktuellen Pläne des Kultusministeriums, Microsoft einzuführen, kritisiert und uns wenig später einem Bündnis von rund 20 Verbänden, Vereinen und Gewerkschaften angeschlossen. In diesem Rahmen wurde die gemeinsame Stellungnahme anbei erarbeitet.

„Die Daten aller jetzigen und zukünftigen Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer dürfen nicht durch die Schule aufs Spiel gesetzt werden“ betont Lennard Indlekofer, Vorsitzender des Digitalisierungsausschusses des Landesschülerbeirats.

Denn auch wenn die Server in der Europäischen Union oder in Deutschland stehen sollten, sind diese nicht durch Zugriffe der amerikanischen Behörden geschützt. Auch machen wir uns somit in der Zukunft von den dortigen Datenschutzbestimmungen abhängig. Fakt ist, dass die USA nicht die gleichen Datenschutzmindeststandards in Sachen erfüllt, wie wir in der Europäischen Union.

Besonders in den letzten Tagen und Monaten konnten wir sehen, wie wichtig uns der Datenschutz in Deutschland ist. Vor einigen Tagen hat WhatsApp seine Nutzungsbedingungen aktualisiert, damit sie die Daten von WhatsApp mit Facebook verbinden dürfen. Seit dieser Information wechseln immer mehr Menschen auf sichere Messenger wie Threema oder Signal. Es haben mittlerweile so viele Leute gewechselt, dass beide Apps Probleme mit ihrem Registrierungsservice bekommen haben. Auch bei der Planung der Corona-Warn-App gab es große Bedenken, wegen des Datenschutzes. Diese Bedenken haben dazu geführt, dass wir hier in Deutschland nun eine Corona-App haben, welche keine persönlichen Daten sammelt. “Warum darf die Corona-Warn-App keine Daten sammeln, aber an unserer Schule sollen dann Produkte von Microsoft eingesetzt werden, welche sensible Daten an die USA abführen können?” fragt sich Lennard Indlekofer.

Der Einsatz von Microsoftprodukten ist überflüssig, da es bereits mehrere deutsche oder europäische Lösungen gibt, welche datenschutzkonform betrieben werden können. Für den Landesschülerbeirat ist es klar, dass nur Produkte, die auch garantiert die Daten der Schülerinnen und Schüler schützen, eine akzeptable Möglichkeit sind.

Deswegen positionieren wir uns als Landesschülerbeirat strikt gegen Microsoft Cloud Produkte an Baden-Württembergischen Schulen und hoffen, dass das Kultusministerium seine Richtung dahingehend ändert.